5.3.
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In Frankfurt an der Oder wurde gestern das 200. Todesjahr als Gedenkjahr ziemlich lieblos eröffnet. Dr. Martin Wilke, der Oberbürgermeister der Stadt, Kind der Stadt und ausgebildeter Reserveoffizier der NVA, begrüßt aufgeräumt seine Gäste von nah und fern und genießt sichtlich den kulturellen Höhepunkt des Jahres in der Stadt. Ein routinierter Staatsminister Bernd Neumann hielt eine Rede, laut der die Klassiker heute wieder im Kommen sind und Herr von Kleist der Schlingensief seiner Zeit gewesen ist und nicht gewesen ist. Hier an der Ostflanke des Vaterlandes wird Kultur sehr mit dem polnischen Nachbarn zusammengedacht und -organisiert. Angesichts des bundesstaatlichen Geldausgebewillens drängt sich allerdings auch der Gedanke auf, es ginge um den Ausbau einer „Zitadelle Kleist“: vorm Verlassen der deutschen Geschichts- und Kulturzone erhalten Sie noch eine kräftige Dosis Klassikerleitkultur.
Herr Minipräsident Platzeck albert mit angeblichen Erfolgen des Tourismusverbandes, der das Land Brandenburg lebenswert gemacht habe auch für die Jahreszeit, in der der Dichter „seine Geliebte“ (!) und sich erschoss.
Der unvermeidliche Hermann Beil vertrat den vermeidlichen krank gemeldeten Peter Fitz und las den Anfang des Kohlhaas in der Phöbus-Fassung, die stark fragmentiert ist und von der Kürze passt. Der Posaunist Christian Muthspiel gab dabei dem Geschehen erweckende Akzente.
Unter den Zuhörern war der Block der Militärattaches am Auffälligsten und am Kleistischsten. Sie waren sowieso unterwegs und ließen sich den Termin in der ehemaligen Frankfurter Garnison- und Kleists Taufkirche, die heute Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Halle heißt, in Galauniformen nicht entgehen. Unser Zeitgeist hat sich gewöhnt, Kleist als traumatisierten Kindersoldaten zu sehen. In der Tat war das Soldatenwesen für ihn Wunde und Heilmittel zugleich. Unter den Attaches war allerdings kaum ein einziger dabei, der jünger war als Kleist, als der starb. Soldatsein war in der Kleistzeit, die Napoleonzeit war, keine Lebensversicherung. Keiner zu sein es auch nicht. Herr Platzeck zieht ausdrücklich angesichts der uniformierten Herren das kleistsche „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ zurück. Als ob sie, die Uniformträger aus aller Welt, es, Feinde, noch wären. Historisch abzuleiten wäre es, aber die Zeit bleibt nicht in der Historie stehen und die Wahrheit hat einen Zeitkern. Also einst Feind, jetzt Freund.
Herr Blamberger als Vorsitzender der Kleist-Gesellschaft (gegr. 5.5.1960) übernahm den Part der literaturwissenschaftlichen und – geschichtlichen Einordnung. Nicht ohne Verzückung droppt er die Namen der Schutzpatronen der Kleist-Stiftung, 1911 gegründet zur Vergabe des Kleist-Preises. Den damaligen Gründungsaufruf unterzeichneten in der Tat 59 namhafte Persönlichkeiten des deutschen Sprachraums, darunter Otto Brahm, Richard Dehmel, Fritz Engel, Maximilian Harden, Hugo von Hofmannsthal, Fritz Mauthner, Walter Rathenau, Max Reinhardt, Arthur Schnitzler, Hermann Sudermann, Theodor Wolff (Hinweis aus wikipedias Artikel „Kleistpreis“). Im Vergleich zu den klingenden Namen fiel der Zählappell des intelektuellen Deutschland von 2011 mager aus. Günther de Bruyn war da, der Doyen der eigensinnigen Mark-Brandenburg-Forschung. Dieser kam allerdings vornehmlich wegen seines Sohnes Wolfgang, der zur Zeit Leiter des Kleistmuseums ist. Von fünf neuen Kleist-Biographien war die Rede, deren Autoren aber Blamberger nicht nennen wollte, weil er selbst gerade eine davon geschrieben hat.
Der beschriebene Festakt wurde zelebriert nach einem Spatenstich neben der alten Barockschule, die das Kleist-Museum beherbergt. Es soll ein Erweiterungsbau errichtet werden. Ein paar Schritte weiter hat das Museum eine Liegenschaft an der Stelle des ehemaligen Geburtshauses des Dichters. Sie entstammt der frühen DDR-Zeit, war genutzt als Kita und Schulamt, beherbergt heute Archiv und Bibliothek des Museums. Das gesamte Erdgeschoss ist das Jahr über mit Räumen zu sehen, die Schüler nach Motiven Kleists gestaltet haben, genannt die Kleist-WG. Das Bettelweib und er selbst geistern dort zahlreich um. Am gelungensten ist vielleicht ein Raum ganz in Weiß, wo eine Art sacra conversazione der Dichter imaginiert wird: Goethes und Wielands Büsten blicken auf einen Tisch, an dem unter anderen ein Kinderkatzenstuhl für Kleist steht. Es gibt auch ein Clo mit einer rosa Closchüssel und der rhetorischen Fragestellung „Wussten Sie, dass Kleist schwul war?“ Daneben ist ein Clo, das leutselig fragt, „Wussten Sie, dass Kleist Katzen hasste?“ auch das Hirn des Genies ist begehbar oder vielmehr zu be-sitzen. Imposant die erfolgreichen Versuche der Schülerhände, sich die alte Sütterlinschrift anzueignen und fleißig die O-Texte zu kopieren auf Papier und Fensterscheiben. Die Methodik der WG ist unterm Strich eine originelle Annäherung, die auch dem Innewerden von Büchner, Hölderlin et altera Impulse geben könnte. Aber soweit sind wir ja noch nicht, deren 200. Todestage kommen erst noch 2037 und 2043.
Abends stiegen dann Musik- und Theatermacher in den Ring, um sich an Kleist abzuarbeiten. Programmatisch mit Akribie sah dabei das Programm der Musiker aus: auf dem Programm standen Victor Ullmann, Ouvertüre zu »Der zerbrochene Krug«; Siegfried Matthus, Unter dem Holunderstrauch; Heinrich Marschner, Ouvertüre zur Schauspielmusik „Prinz Friedrich von Homburg“; Joseph Joachim, Kleist-Ouvertüre g-Moll op. 13; Hugo Wolf, Penthesilea. Allein die Liste dürfte das Richard-Strauss-Verdikt widerlegen, der da gesagt hatte: „Kleist ist unkomponierbar“.
Es spielte das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt. Tobias Künzel von den Leipziger Prinzen und Jovanka v. Wilsdorf (Scheining) führten rezitierend durch das Programm. Weitere Beteiligte waren Joe Czarnecki (Scheining), Gitarre und Soundscapes; Clemens Bieber, Tenor und Philippe Bach, der dieses Jahr die Stelle des GMD am Meininger Hoftheater antritt, als Dirigent.
Rezensent war während der Performance nicht zugegen.
Über die Petras-Inszenierung aus dem Maxim-Gorki-Theater Berlin sind im Extrablatt Stimmen zur Premiere festgehalten.
Nur die Reise an die Oder hatte etwas irrlichternd-genialisches: der Lokomotivführerstreik behinderte leicht die rechtzeitige Ankunft, Böschungsbrände an der Trasse hinter Fürstenwalde zwangen zum Umsteigen in einen Ersatzbus.
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Kriminalität
Motiv für Dreifachmord auf Schießplatz weiter unklar
Samstag 5.3.2011, 9:28 Uhr
Kriminalität – Motiv für Dreifachmord auf Schießplatz weiter unklar
dpa Polizisten kontrollieren die Zufahrt zum Schießstand Hüttermühle an der Bundesstraße 107 in Genthin.
Nach dem Dreifachmord auf einem Schießplatz in Sachsen-Anhalt ist das Motiv des Verbrechens weiter unklar. Auch über den vierten Toten – den mutmaßlichen Täter – gab die Polizei keine neuen Details bekannt.
Im Laufe des Wochenendes sollten weitere Zeugen zu den Hintergründen befragt werden, sagte ein Sprecher der Polizei am Morgen. Mehrere Medien berichteten, dass der mutmaßliche Täter in einem Wohnheim für verhaltensgestörte Personen gelebt habe und im Besitz eines Waffenscheins gewesen sein soll. Diese Angaben konnte die Polizei am Morgen nicht bestätigen. Unklar ist weiterhin auch, ob sich der 28-Jährige und die drei Opfer vom Schießübungsplatz kannten.
Auf dem Gelände einer Jägerschaft in Genthin waren am Donnerstagabend eine Frau, ihr erwachsener Sohn und ein Schießwart erschossen worden. Der mutmaßliche Täter flüchtete und tötete sich am Tag darauf mit einem Kopfschuss wahrscheinlich selbst. Er wurde rund 75 Kilometer von dem Schießstand entfernt bei Haldensleben gefunden.
Die Leichen wurden nach Angaben der Polizei zur Obduktion nach Halle gebracht. Erste Ergebnisse dieser Untersuchungen könnten am Montag vorliegen.
dpa, focus online
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Letztes Wort
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„Haec est fides!“ („Das ist Treue!“) [zu seinem Centurio, der versuchte, Neros Blutung zu stoppen, die sich Nero in suizidaler Absicht zufügte]
Nero, römischer Kaiser, 68
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Extrablatt
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Das Erdbeben in Chili – Armin Petras experimentiert mit Kleist
Kleist unter der Rüttelplatte
von Matthias Schmidt
Dresden, 25. Februar 2011. Unter einer Misophonie versteht man, vereinfacht gesagt, die Abneigung gegen bestimmte Geräusche. Das Kreischen von Kreide an einer Tafel oder das Schnurpseln beim kräftigen Biss in einen Apfel zählen dazu. Auch Styropor macht solche Geräusche. Wer Verpackungsquietschen nicht mag, wird an der Dresdner Inszenierung der Kleist-Novelle zu Beginn wenig Freude haben, denn groß sind die Mengen an Styropor, die auf der Bühne des Kleinen Hauses verbaut und zerstört werden. Wer hingegen einen faszinierenden Schnellkurs in Sachen theatrale Vielfalt sucht – bitte sehr! Hier wird experimentiert, was das Zeug hält. Armin Petras geht mit seinen Schauspielern öffentlich auf die Suche nach einer Ansprechhaltung für die Kleist-Novelle. Die Geschichte wird leidenschaftlich getanzt und geturnt, erschuftet und geschwitzt. Sie wird mal mit Pathos vorgetragen und mal mit ironischer Leichtigkeit, in Dialoge zerlegt oder wie in einer Familienaufstellung analysiert. Sie kommt auch mal als Oratorium daher und gleich darauf als Kammerspiel. Der Weg scheint das Ziel zu sein, und dieser Weg ist streckenweise großartig.
Glück im Unglück und zurück
Er beginnt mit einem Erdbeben, das den Tod eines heimlichen Liebespaares verhindert. Jeronimo und Josephe befanden sich in einem – wie Kleist schreibt – „zärtlichen Einverständnis“. Ein Kind ist unterwegs, und die beiden sollen hingerichtet werden. Sie überleben nur dank eines just in diesem Moment ausbrechenden Erdbebens. Das Glück aber ist – wie so oft – nur von kurzer Dauer. Denn als die Kirche das Erdbeben als Folge der verfallenden Sitten und insbesondere ihrer schändlichen Beziehung brandmarkt, erwischt es sie doch noch.
Die Emotionen auf dieser Gefühlsachterbahn übersetzt Petras in eine Unzahl von Bildern: in Bewegungen der Begierde, in Lust, Panik, Angst, Unterwürfigkeit, Verzweiflung. Vier Personen zwängen sich in ein T-Shirt, bis es schließlich zerplatzt. Christian Friedel spielt dazu Klavier, singt sensationell und sampelt die Geräusche der wilden Bühnenhatz dazu. „Purple Rain“ wird zum live gespielten Soundtrack der Ausnahmezustände, in denen sich Jeronimo und Josephe sowie ihr Helfer Don Fernando und dessen beim Erdbeben schwer verletzte Frau Donna Elvire befinden. Die Versuche der beiden Paare, möglichst normal mit den Katastrophen um sie herum umzugehen (beide Paare haben ein Kind, und nur eins wird überleben) sind tragisch und komisch zugleich.
Immer wieder fallen die Schauspieler dabei aus ihren Rollen: „fetzt voll“, sagt Anne Müller einmal, und für die, die es etwas konservativer erzählt lieber hätten: „Das ist Kleist, was Sie hier sehen.“
Vergänglichkeit des Glücks
Dabei ist das Faszinierende an der Inszenierung eher, dass sie nicht Kleist ist, sondern ein work-in-progress, ein „Making-of Kleist“. Dass sie mal genussvoll in dessen Sprache schwelgt, um gleich darauf mit gehetzter Aktion und Diktion anstrengend zu sein. Dass sie mit weitgehend schlichten Kostümen und der klaren, weißen Bühne beeindruckt, um zwischendurch mit seltsamen, spitzen Zaubererhüten und einer Mehlstaub-Schlacht zu verunsichern. Und dass sie es schafft, das Styropor-Geräusch als unverzichtbar zu überhören, weil das Material quasi als Metapher funktioniert.
Nicht alles ist stimmig, manches Bild und manche Szene bleiben rätselhaft oder gar unverständlich, und ein wenig zerbröselt die Vielfalt der Ansprechhaltungen und Ideen den Abend sogar. Man verliert Figuren und Handlung aus den Augen und findet sie nicht immer wieder.
Der in die Handlung eingebettete Freitod Kleists und seiner Begleiterin Henriette Vogel etwa mag thematisch ebenso für die Vergänglichkeit des Glücks stehen, wie die an anderer Stelle eingespielten privaten Videoschnipsel der Schauspieler zum Thema Glück, doch letztlich fallen beide Ebenen zu weit aus dem Rahmen. Mal abgesehen davon, dass Kleist sich und Henriette erschossen hat und nicht (warum schon wieder beide nackt?) ins Wasser des Kleinen Wannsees getragen. Sei’s drum
Am Ende regnet es purpurne Glitzerstreifen, ein kitschiger „purple rain“, der an eine der ergreifendsten Szenen der Inszenierung erinnert. Zwei intensive Einatmer aus den Lautsprechern folgen. Dann: Black! Der Hauch des Todes? Becketts „Breath“? Kleist lebt? In dieser Koproduktion mit dem Gorki-Theater Berlin – ja!
Das Erdbeben in Chili
nach der Novelle von Heinrich von Kleist
Regie: Armin Petras, Dramaturgie: Martin Heckmanns, Nina Rühmeier, Bühne: Natascha von Steiger, Kostüm: Karoline Bierner, Musik und Video: Niklas Ritter, Choreografie: Berit Jentzsch, Licht: Norman Plathe, Olaf Rumberg.
Mit: Christian Friedel, Matti Krause, Wolfgang Michalek, Anne Müller, Annika Schilling.
www.staatsschauspiel-dresden.de
Armin Petras arbeitet derzeit an seiner persönlichen Gesamtausgabe von Kleists dramatischem und nicht so dramatischem Werk. Im November 2011 wird im Berliner Maxim Gorki Theater anlässlich des Kleist-Jahres das Kleistfestival stattfinden, bei dem alle Dramen und einige Novellen des „größten deutschen Dramatikers“ (Petras) gezeigt werden.
Zum Gastspiel des „Erdbeben in Chili“ aus dem Maxim-Gorki-Theater am gestrigen Abend in Frankfurt an der Oder hier die Kritiken aus www.nachtkritik.de:
Armin Petras arbeitet derzeit an seiner persönlichen Gesamtausgabe von Kleists dramatischem und nicht so dramatischem Werk. Im November 2011 wird im Berliner Maxim Gorki Theater anlässlich des Kleist-Jahres das Kleistfestival stattfinden, bei dem alle Dramen und einige Novellen des „größten deutschen Dramatikers“ (Petras) gezeigt werden.
Kritikenrundschau
„Styropor ist wichtig hier.“ Man könne damit Herumquietschen, die Geschehnisse mittels Styroporteilen nachgestellen, „allerdings wirkt das eher wie eine Kleist-Verarschung. Läppisch. Eitel. Ja, ärgerlich“, schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (4.3.2011).
„Aber dann wird es toll.“ Zwei Schauspieler, Annika Schilling und Wolfgang Michalek, entkleiden sich, letzte Worte vom Wannsee seien zu hören, wo sich Kleist zusammen mit Henriette Vogel erschoss. „Der nackte Michalek nimmt die nackte Schilling auf den Arm, trägt sie sehr liebevoll, beschützend von der Bühne. Dann kehren alle fünf Darsteller wieder und erzählen in gestochener Sprache und auf nun wundervoll ernste Weise das Ende der Novelle, das Blutbad. Als hätten sie sich erst körperlich an vielen merkwürdigen Dingen abarbeiten müssen, um dieses Ende, diese trockene Härte hinzukriegen.“
Bereits der Kunstgriff, mit dem quälend-quietschenden Styropor-Geräusch, das der Kontakt der Schauspieler mit dem Bühnenbild erzeugt, auch die Zuschauernerven einer Erdbeben-Zerreissprobe auszusetzen, überzeugt Stefan Locke von der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (27.2.2011). Aber auch sonst gibt er in dieser Inszenierung das Erlebnis einiger Momente zu Protokoll, „für die Theater heute da ist“. Akrobatik und Tanz des Abends gipfeln für ihn atmosphärisch in den in dem Prince-Lied ‚Purple Rain‘, „live gespielt und gesungenen von Christian Friedel, der anschließend in Kleists Worten das Wiedersehen Jeronimos und Josephes unterm Granatapfelbaum meisterhaft moderiert.“ Am Ende sei die Bühne zerstört, die Darsteller lädiert und die Zuschauer zurück in der Wirklichkeit. Von den kurzen Träumen einer besserern Welt „bleibt nur purpurner Glitter, der zum Schluss auf die kalte Styropor-Szenerie regnet. Das Publikum jubelt.“
Wie eine Art Workshop wirkt Petras‘ inszenierung auf Hartmut Krug in der Sendung Kultur Heute beim Deutschlandfunk (27.2.2011), die aus seiner Sicht zwischen szenisch überzeugenden Einfällen und inszenatorisch-darstellerischen Albernheiten schwankt und ihm dabei grundsätzlich doch nicht klar machen kann, warum man diese grandiose Inszenierung auf die Bühne bringen muss. Die Inszenierung versuche zwar, „körperliche Ausdrucksformen für die Gefühle in dieser ungeheuren Geschichte eines Liebespaares zu finden, das bei seiner Glückssuche brutal von der Gesellschaft gehindert und gemordet wird. Was Glück sein könnte, zeigen Videos von wehenden Palmen, aber auch Filmsequenzen mit den Darstellern, in denen Skat mit der Oma, Reiten oder Urlaub mit Kindern als Glück beschrieben wird. Während in der Inszenierung Kleists Beschreibung des einen Glücksmomentes des Liebespaares ironisiert wird.“Insgesamt bleiben für Krug viele Fragen offen.
Im besten Sinne irritierend fand Johanna Lemke in der Sächsischen Zeitung (28.2.2011) diesen Abend, der für sie aus der bisherigen Spielkost herausragt. Denn Schauspieler und Regisseur sieht sie hier Kleists novelle mit allen erdenklichen Mitteln zerlegen, was manchmal Züge eines Szenenstudium auf der Schauspielschule für sie hat, aber in jeder Minute zutiefst authentisch auf sie wirkt. So entstehen für die Kritikerin immer wieder unnachahmliche, wahre und tief einprägsame Momente und insgesamt ein dichtes, emotionales Bild. Wenn die Kritikerin auch nicht immer alle Szenenfragmente einornden kann.
Für Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (28.2.2011) hat Armin Petras die Kleist-Novelle in ein „Labor zur Erforschung von Bewusstseinsbeben verwandelt“. Petras nehme die Novelle als ein Dokument vom ‚Umsturz aller Verhältnisse‘, als Zustandsbericht aus dem Glutkern einer Geistes- und Gefühlsrevolution, die alle Gewissheiten zerbröselt habe. Das sei zwar „die Standardauskunft über uns in unseren Zeiten, fast schon ein Klischee, aber deshalb nicht weniger wahr.“ Petras bleibe dicht am Text, suche dabei allerdings die Abstraktion. Dabei gebe es, so Pilz weiter, viel Schauspielsport und plötzliche Improvisationen. „Diese Kleist-Versuche, zusammengebunden zu einem heterogenen, manchmal wirren, mitunter banalen, dann wieder eindringlichen, berührenden, verstörenden Strauß an Ideen und Momentaufnahmen“, sind Pilz Eindruck zufolge „selbst ein Dokument dessen, wovon sie Botschaft geben wollen: eine Welt im Umsturz.
In höchstem Maße suggestiv, meditativ und auch sportiv, wenn auch nicht durchgängig schlüssig findet Tomas Petzold von den Dresdener Neuen Nachrichten (28.2.2011) den Abend. Die Choreografie von Berit Jentzsch läßt ihn gelegentlich an William Forsythe denken. Der Kritiker bemängelt allerdings bei aller Grundbeeindruckung teilweise ein gewisses Überangebot szenischer Mittel, das auf ihn den Eindruck macht, als hätten die Inszenatoren der Kraft ihres Zugriffs nicht ganz vertraut.
Petras, schreibt Anne Peter in der taz (2.3.2011), nähere sich Kleists alles veränderndem Schrecken in einer „offenen, tastenden Inszenierung, die dem Text nachzulauschen“ scheine. Die Schauspieler kämen zu einer Art „Kleist-Training“ zusammen. Die Tänzerin Berit Jetzsch habe en Schauspielern ein von Contact Improvisation durchwirktes Tanztheater auf den Leib choreografiert. Die Rollen seien nicht fest verteilt, Stück für Stück setze „das Kollektiv“ die Erzählung zusammen. Durch die „verschiedenen Versuchsweisen“ wirke der Abend „heterogen“ und „zerklüftet“ und die „seltsame Sterilität“ des weißen Laborraums“ stehe im Kontrast zu den „schwitzenden, sich beeindruckend verausgabenden Schauspielerkörpern“. Trotzdem gelänge es Petras, dem „vermeintlich Undarstellbaren Ausdruck zu verleihen“.
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