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To Offer
Schäuble weist Pressesprecher zurecht
Spott-Auftritt wird Internet-Renner
Auf einer Pressekonferenz hat Finanzminister Wolfgang Schäuble vor Journalisten seinen Pressesprecher angefaucht: „Reden Sie nicht, sorgen Sie dafür, dass die Zahlen jetzt verteilt werden“. Das Video entwickelt sich im Internet zu einem Renner.
07. November 2010
Dass ein Sprecher eines Regierungsbündnisses ausgerechnet von der Opposition Solidaritätsbekundungen erhält, ist im rauen Berliner Politikbetrieb selten. Ungewöhnlich ist aber auch, wie rasant sich der Bekanntheitsgrad von Michael Offer, Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dieser Tage erhöht – ungewollt und weit über die Schar von ein paar hundert Hauptstadtjournalisten hinaus.
Der bissige Spott seines Chefs Schäuble entwickelt sich im Internet zu einem Renner. Allein auf dem Videoportal Youtube wurde der Auftritt bis Sonntagmittag über 200.000 Mal abgerufen. Auch im politischen Berlin ist er ein Thema. Kein Wunder, hatte Schäuble seinen engen Mitarbeiter doch vor laufenden Kameras derart rüde zurechtgewiesen, dass dies nicht nur dem Koalitionspartner FDP zu viel war. Selbst die SPD ist empört und stellt sich vor Offer.
Auslöser war Schäubles Pressekonferenz zur Steuerschätzung am vergangenen Donnerstag in der „Steinhalle“ des Ministeriums. Der Minister wollte vor gut 50 Journalisten das satte Steuerplus von 61 Milliarden Euro erläutern. Auch viele Mitarbeiter verfolgten den Auftritt. Der Ablauf:
Offer eröffnet die Pressekonferenz und verweist darauf, dass die Unterlagen zur Steuerschätzung ja schon verteilt seien. Als dies die Journalisten verneinen, lehnt sich Schäuble entnervt zurück und blafft seinen Sprecher an. Er habe doch erst vor 20 Minuten gesagt: „Es wär‘ schön, wenn die Zahlen verteilt wären.“ Und Schäuble fügt grinsend hinzu: Er habe geahnt, dass dies nicht klappen werde.
Der Versuch einer Erklärung schlägt fehl. Schäuble unterbricht seinen Sprecher mit den Worten: „Herr Offer, reden Sie nicht, sorgen Sie dafür, dass die Zahlen jetzt verteilt werden.“ Er werde die Pressekonferenz jetzt verlassen und wiederkommen, wenn die Zahlen verteilt seien. Der querschnittsgelähmte Politiker löst die Bremsen seines Rollstuhls und dreht kurzerhand ab.
Bevor Schäuble hinter einer Wand verschwindet, fügt er noch gereizt hinzu: „Sorry! Ich hatte Ihnen die Wette angeboten, Sie werden sie nicht verteilt haben – vor ’ner halben Stunde.“ Zurück bleiben Offer und ein ebenso verdutzter Top-Beamter.
Gut 20 Minuten später kommt Schäuble – zunächst feixend – zurück und schaut sich um: „Kann mir mal einer den Offer herholen!“, ruft er missmutig in den Saal. Journalisten lachen erneut, Schäuble schüttelt den Kopf. „Wir warten noch, bis der Offer da ist, er soll den Scherbenhaufen schon selber genießen“, schiebt er nach.
Irgendwann – nach weiteren Sticheleien – muss auch Schäuble gemerkt haben, dass er wohl überzieht. Spöttisch sagt er: Die Mitarbeiter müssten in Schutz genommen werden vor dem „manchmal drängenden Wesen ihres Ministers“. Und spielt den überheblichen Umgang mit seinem Mitarbeiter als seine spöttische Seite herunter.
Es war aber nicht der erste Fall, in dem Schäuble Mitarbeiter öffentlich zusammenstauchte. Der 68-jährige CDU-Politiker, der nach einem Attentat seit 20 Jahren im Rollstuhl sitzt, ist hart gegen sich selbst und auch hart im Umgang mit anderen. Im Ministerium soll ein Klima der Angst herrschen. Die Stimmungen Schäubles sollen schwanken, was auch Folge starker und vieler Medikamente sein dürfte.
Der in seiner Wortwahl oft selbst nicht zimperliche FDP-Politiker Wolfgang Kubicki reagierte auf seine Art: „Der Mann steht unter Drogen“, lästerte der Fraktionschef im Kieler Landtag beim Landesparteitag der schleswig-holsteinischen FDP über Schäubles Auftritt – und wurde von Parteichef Guido Westerwelle umgehend in die Schranken gewiesen: „Was Du zu Schäuble gesagt hast, geht so nicht, und ich weise das in aller Form zurück.“
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Joachim Poß sieht jetzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gefragt. „Frau Merkel muss sich nun erklären, wie sie es mit ihrem Finanzminister weiter hält“, teilte er am Sonntag mit. In der „Bild am Sonntag“ räumte Schäuble immerhin ein: „Bei aller berechtigten Verärgerung habe ich vielleicht überreagiert.“
Text: dpa
Unterdessen ist Offer zurückgetreten. Der Vorgang genießt die größte Aufmerksamkeit der Medien. Leider kommt ins Hintertreffen, worüber die Pressekonferenz gehandelt hat. Das höhere Steueraufkommen hätte doch für den verantwortlichen Minister allen Grund geliefert, einmal entspannt zu sein, statt als grantelnder Altbauer albern zu werden. Warum ist es der oberste Kassenwart ausgerechnet in dem Moment nicht?
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Deutschland und seine alten Männer
Fritz, Hindenburg, Adenauer, Schmidt.
Aber auch Friedrich Graf von Wrangel. Zweimal ist der Haudegen im Berliner Stadtbild präsent. Sein Sommerhaus, das Gutshaus Steglitz, ist als Wrangel-Schlösschen bekannt. Im tiefsten Kreuzberg SO 36 befindet sich die Wrangelstraße. 1798 Leutnant, wurde er 1807 mit dem Pour le merite ausgezeichnet, weil er den Russen unter General Bennigsen sich gegen die französischen Truppen bei Heilsberg in Ostpreußen zu stemmen half. Als er mit 93 Jahren im Kaiserreich starb konnte er auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Einer seiner Höhepunkte war der 10.11.1848. Wrangel, der damalige Oberbefehlshaber in den Marken, marschiert durchs Brandenburger Tor, um dem revolutionären Berlin die Staatsgewalt abzunehmen, die Bürgerwehr unblutig zur Kapitulation zu bringen, die verfassungsuchende Volksvertretung im Schauspielhaus aufzulösen, den Belagerungs- und dann den Kriegszustand auszurufen. Dies geschah, obwohl seitens der Revolutionäre die Drohung ausgesprochen worden war, seine in der Stadt zurückgebliebene Frau zu erhängen. „Ob se ihr jetze woll uffjehangen haben?“, fragte er unterm Tor seinen Adjutanten. Sie hatten nicht. Die Ehe überlebte die drei erwachsenen Söhne des Paares und wurde nach fast 67 Jahren durch seinen Tod beendet.
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Heute den Droschkenkutscher A. kennengelernt. Er lädt sich im Morgengrauen seinen Transporter randvoll und beliefert Tempelhof mit leichten Päckchen bis schweren Paketen (25kg). Er mag rund dreißig Lenze sein. Sein merkwürdiger Gang ist einem Autounfall geschuldet, den er vor kurzem erlitt. Er hat einen gebrochenen Oberschenkel und andere Frakturen und viel Metall im Körper. Trotzdem befindet er sich seit zwei Wochen in der Probephase zu seinem neuen Job. Ohne Routine benötigt er mehr Zeit für die Beladung und die Tour selbst. Er muss, bis der Kindergarten schließt, seine Tochter von dort abholen, weil seine Frau in Spätschicht arbeitet. Wenn der Wagen dann noch Pakete hat, bleiben diese zur Auslieferung am nächsten Tag übrig. Bei den Verhandlungen zur Übernahme in den Vollzeitdienst hofft er, 1.000 Euro im Monat herauszuschlagen.
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Letztes Wort
„It is easy to hang me, but this question – this slave question – that remains to be settled.“ („Es ist einfach mich zu hängen, aber die Frage – die Sklavenfrage – die bleibt noch zu lösen.“) [hingerichtet]
John Brown, US-amerikanischer Gegner der Sklaverei, 1859
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